Das Thema Kinderkriegen wiederholt sich immer und immer wieder. So stellt sich jede werdende Mutter früher oder später die Frage, wo möchte ich eigentlich entbinden? Immer wieder werde ich von meinen Patientinnen nach konkreten Empfehlungen zu einer Geburtsklinik gefragt. Daher möchte ich heute über die grundsätzlichen Vor- und Nachteile einer Geburt im Krankenhaus sprechen und darüber, was bei der Auswahl eines Kreißsaals zu beachten ist.
Klinische Geburtshilfe
Knapp unter 700 Kliniken mit geburtshilflicher Abteilung gibt es in Deutschland 2020, in denen tatsächlich 98% aller Geburten stattfinden.
Dabei beträgt der bundesweite Durchschnitt seit einigen Jahren etwa 30,5% an Kaiserschnitten und 5,9% an Saugglocken.
Diese Angaben variieren von Bundesland zu Bundesland. Ebenso von Krankenhaus zu Krankenhaus, denn es gibt größere, kleinere, moderne und weniger moderne Kliniken. Es gibt Krankenhäuser, die eine Kaiserschnittrate von 37,5% haben und Kliniken mit einer Rate von knapp unter 24%. Sehr unterschiedlich also.
Welche Auswahlfaktoren gibt es?
Bei der Wahl der Geburtsklinik spielen viele verschiedene Argumente eine Rolle. Erfahrungsberichte von Freunden und Familie, geografische Erreichbarkeit, medizinisches Leistungsspektrum und Lifestyle Angebote der Klinik sind relevant. Ebenso sind auch persönliche Vorlieben und das eigene Bauchgefühl mitentscheidend.
Um eine Wahl treffen zu können, ist es wichtig sich über die Faktoren, die für Dich persönlich wichtig sind, Gedanken zu machen und einen roten Faden auszuarbeiten, der diese Faktoren miteinander verbindet.
Aber immer der Reihe nach.
Wie stellt man sich ganz allgemein den klassischen Ablauf einer Entbindung vor?
Sobald die Geburt losgeht, lasst Ihr Euch von Eurem Partner oder einer Begleitperson Eures Vertrauens in den nächstgelegenen Kreißsaal transportieren. Dort wird man von den diensthabenden Geburtshelfern bei der Geburt begleitet, bis Euer Kind schließlich das Licht der Welt erblickt.
Dann verbleibt man drei bis fünf Tage auf der Mutter-Kind-Station bevor die Entlassung stattfinden kann.
So in etwa ist die Vorstellung. Unkompliziert und daher sehr beliebt.
Vorteile
Das ist bereits der erste, weit bekannte Vorteil einer Geburtsklinik.
- Ihr habt, wenn man so sagen kann, nur den Aufwand des Anfahrtswegs. Wenn Ihr in der Klinik ankommt, sind sämtliche Räumlichkeiten und Gerätschaften bereits vorbereitet, genau wie jemand, der das ganze Inventar nach der Geburt reinigt und aufräumt.
- Der nächste Vorteil ist der Faktor der gefühlten Sicherheit. Medizinisches Fachpersonal und Utensilien, die für den Notfall wichtig sein könnten, sind jederzeit greifbar.
Gerade bei dem ersten Kind hat dieser Punkt eine sehr überzeugende Wirkung. Die Angst vor unerwartet auftretenden Komplikationen ist groß, besonders, wenn man noch nie selber Wehen hatte und nicht einschätzen kann, was genau Dich unter der Geburt erwartet.
- Ein weiterer Vorteil ist die Option der schulmedizinischen Schmerzlinderung. Es sind alle Möglichkeiten der Schmerzlinderung, die die dieser Kreißsaal bietet, unter der Geburt nutzbar.
Moderne Geburtskliniken können neben der PDA mit Lachgas oder dem sog. TENS-Gerät dienen. Grundsätzlich ist das Angebot der Kliniken unterschiedlich und muss individuell erfragt werden.
- Noch ein Vorteil, der in Deutschland fast so selbstverständlich wahrgenommen wird, dass niemand bewusst darüber nachdenkt, ist der Kostenfaktor. Sämtliche Leistungen im Rahmen einer klinischen Geburt werden von der Krankenkasse finanziert, auch wenn man den Rettungswagen ruft, anstatt mit dem eigenen Auto zu fahren.
Familienzimmer und alles, was eher in Richtung Lifestyle geht, muss ggf. selbst gezahlt werden aber die Geburt ist Sache der Versicherung.
- Ebenso ist nach der Geburt im Kreißsaal vieles “automatisch” vor Ort organisiert. Hörtests bei Baby, die U2 innerhalb der ersten drei Lebenstage, die gynäkologische Abschlussuntersuchung für die Mama sind alle “im Programm” und müssen nicht, wie zum Beispiel nach einer ambulanten Geburt, eigenständig koordiniert werden. Einige Krankenhäuser melden die Kinder sogar selber beim Standesamt an und sparen den Eltern den Behördengang.
Nachteile
Aber, wie alles im Leben, hat auch die Geburt in der Geburtsklinik gewisse Nachteile. Diese Nachteile müssen nicht auftreten aber sie können auftreten.
- Der größte Nachteil bei einer Geburt im Krankenhaus ist der potentielle Mangel an Individueller Zuwendung.
Was ich damit meine ist, wenn Ihr zu Entbindung kommt, sind dort im Kreißsaal eben nur die Hebammen und Ärzte,die gerade Dienst haben. Ihr kennt die Geburtshelfer nicht wirklich und könnt nicht wissen, ob „die Chemie“ zwischen Euch stimmt. Es ist außerdem unmöglich zu sagen, wie viel Betrieb im Kreißsaal herrscht, wenn Ihr dort ankommt.
Wenn Du Glück hast, bist Du die einzige Patientin unter der Geburt und erlebst den Luxus der maximalen Zuwendung. Wenn Ihr Pech habt, sind da außer Euch noch 2, 4 oder 6 andere Mütter pro Hebamme, je nach Größe des Hauses. Die Geburtshelfer rennen dann buchstäblich zwischen den Kreißsälen hin und her und versuchen, so gut es geht, zu priorisieren. Klar ausgedrückt, sie kümmern sich immer zuerst um die Frau, die als Nächste presst.
Bisher geht es auch nur um die Geburten. Nebenher klingelt noch das Telefon, CTG- Kontrollen laufen, Regale müssen aufgefüllt werden Akupunktur-Termine müssen vergeben werden, etc. Es findet neben den Geburten ein gewisser Stationsalltag statt, der viel Zeit in Anspruch nimmt.
Es besteht ein Unterschied zwischen größeren und kleineren Geburtskliniken
Wobei der Patienten Anlauf regionalen Schwankungen unterliegt. Als Faustregel kann man sagen, je kleiner die Geburtsklinik, desto weniger Patienten pro Hebamme und weniger wuselig der Stationsalltag. Gleichzeitig bleibt in kleineren Kliniken viel fachfremde Tätigkeit an der Hebamme hängen. Sie muss, statt eine Geburt zu betreuen, unter Umständen Betten holen, Kreißsäle wischen und sterile Klemmen aus dem Steri holen.
In größeren Kliniken gibt es dafür eigens Transportdienste, Bettenservice und Reinigungskräfte rund um die Uhr. Genau wie deutlich mehr Geburten pro Hebamme und einen insgesamt etwas hektischeren Stationsalltag.
Letztendlich, ob nun größeres oder kleineres Krankenhaus, der große Nachteil an der Geburt im Kreißsaal lautet, eine Eins-zu-Eins-Betreuung ist in der Regel leider nicht gewährleistet. Beziehungsweise, es ist in diesem Hinblick sehr viel vom Glücksfaktor abhängig.
Kliniken haben einen strammen Zeitplan
- Der nächste große Nachteil an Klinikgeburten ist sehr häufig ein potenzieller Mangel an Geduld. Unabhängig von der Patientenzahl ist es in der klinischen Geburtshilfe leider häufig so, dass bestimmte Zeitfenster für den Geburtsverlauf grundsätzlich sehr eng bemessen sind.
Ein Beispiel dafür ist die Eröffnung des Muttermundes, dem unteren Teil der Gebärmutter, der sich für die Geburt von ganz geschlossen auf eine Eröffnung von 10cm vorarbeiten muss.
In Kliniken gilt die Leitlinie, hat sich der Muttermund innerhalb von zwei Stunden nicht weiter geöffnet, befinden wir uns in einem Geburtsstillstand.
Gerade beim ersten Kind braucht der Muttermund aber häufig mehr Zeit, bzw. der Geburtsfortschritt findet phasenweise nicht in Form von Eröffnung statt, sondern z.B. in dem das Gewebe selbst weicher und nachgiebiger wird. Nach Definition der Leitlinie “zählt” das dann aber nicht wirklich, weil nicht in Zentimetern messbar.
Und das bringt uns zum nächsten möglichen Nachteil der klinischen Geburtshilfe.
- Im Kreißsaal besteht eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für medizinische, ggf. unnötige Eingriffe bei der Geburt gegenüber der außerklinischen Geburtshilfe.
Versteht mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, in der Geburtsklinik bekäme jede Frau einen Kaiserschnitt!
Aber es muss ja auch nicht immer gleich um den Kaiserschnitt gehen.
Unnötige venöse Zugänge “vorsichtshalber”, unnötig lange CTG-Kontrollen weil so viel los ist, das niemand dazu kommt das Gerät auszuschalten, unnötig häufige vaginale Untersuchungen zum feststellen der Muttermundsweite…. Das alles zählt auch schon als “Eingriff” in den Prozess der Geburt und das muss man wissen wenn man dabei ist eine Klinik für die Geburt auszuwählen.
Und wenn Ihr jetzt denkt, bei einer Anmeldung im Kreißsaal bin Ich, zumindest was den Geburtsort angeht, auf der sicheren Seite, irrt Ihr euch.
Überbelegung
- In großen Krankenhäusern ist es nicht unüblich bei voller oder übervoller Auslastung den Kreißsaal zeitweise im wahrsten Sinne zu sperren.
Das bedeutet konkret, alle werdenden Mütter, die ab dem Sperrzeitpunkt per Rettungswagen gebracht werden, werden in ein anderes, weniger voll belegtes Krankenhaus verlegt, sofern der Zustand von Mutter und Kind dies zulassen. Natürlich würde einer bereits pressenden Frau nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen! Frei nach dem Motto “Entbindet doch auf einer Parkbank an der frischen Luft”.
Dennoch ist der Nachteil einer möglichen Verlegung aus logistischen Gründen real, obwohl fast Niemand je davon gehört hat.
Fazit
Das sind die wesentlichen Vor- und Nachteile einer Geburt im Krankenhaus.
Dabei möchte ich auf keinen Fall sagen, dass die klinische Geburtshilfe grundsätzlich böse oder grundsätzlich die einzig richtige Option ist.
Ich habe selber jahrelang im Kreißsaal eines Krankenhauses Geburten begleitet. Dabei habe ich viel Gutes aber auch das ein oder andere, weniger Gute gesehen. Ich möchte hilfreiche Infos vermitteln, an die Ihr sonst nur schwer rankommt.
Es geht mir nicht darum Angst zu machen, sondern dafür sorgen, dass ihr meine Infos nutzt, um für Euch die passende Wahl zu treffen.
Dabei gibt es kein “richtig” oder “falsch”.
Wunschliste oder Geburtsplan
Es gibt auf der einen Seite Eure Wünsche und Punkte, die für Euch ausschlaggebend sind. Auf der anderen Seite gibt es die Punkte, die in der Realität umsetzbar sind. Zwischen diesen beiden Feldern gilt es einen optimalen Mittelweg zu finden. Dabei kann es sehr hilfreich sein eine Liste von all Euren Wünschen, wenn nicht gleich einen Geburtsplan anzufertigen. Versucht ein „Rating“ vorzunehmen, bei dem ihr entscheidet, welche Wünsche für Euch größeren und welche Wünsche einen kleineren Stellenwert haben. Denn, realistisch betrachtet, wird in der Klinik nicht jeder Wunsch umsetzbar sein. Bei der Wahl einer Klinik hilft es im Vorfeld zu wissen, an welchen Stellen Du bereit bist Kompromisse einzugehen und welche Punkte für Dich nicht verhandelbar sind.
Wen meine Ausführungen nun mehr verunsichert haben als alles andere, dem sei gesagt, es gibt die Rosine unter den Kreißsälen. Den sogenannten Hebammenkreißsaal. Dieser ist, wie der Name schon sagt, von Hebammen oder sogenannten Beleghebammen geleitet.
Ohne jetzt in ausführliche Details dieser Abteilungsstruktur zu gehen, kann ich Euch sagen, diese Hebammen organisieren so effektiv wie möglich, müssen bei gesunden Geburtsverläufen nicht unbedingt einen Arzt hinzuziehen und arbeiten dadurch in der Regel geburtenfreundlicher als konventionelle Kreißsäle.
20 davon gibt es zu diesem Zeitpunkt bundesweit.
Natürlich ist mir bewusst, dass nicht jede Schwangere in einer Metropole wohnt, in der es ganze acht Kreißsäle zur Auswahl gibt.
Erwartet eine Frau auf Sylt ein Kind, muss sie zur Geburt erstmal aufs Festland…. Für jede Schwangere sieht die Situation anders aus.
Es lohnt sich aber trotzdem Erkundigungen darüber anzustellen, welche Kreißsäle es in eurer Nähe gibt und welche Möglichkeiten sich in den verschiedenen Kreißsälen für euch ergeben.
Informiert Euch
Wenn ihr überlegt in einem Kreißsaal zu entbinden, möchte ich Euch ans Herz legen, informiert Euch! Wissen ist Macht!
Jedes Krankenhaus, das etwas auf sich hält, veranstaltet in regelmäßigen Abständen Informationsabende, Tage der offenen Tür oder etwas vergleichbares.
Besucht diese Infoveranstaltungen und stellt dort die richtigen Fragen.
Die richtigen Fragen sollten dabei einen Mix aus fachlichen Punkten und Lifestyle bezogenen Punkten darstellen. Es ist beides wichtig.
Eine sehr ausführliche Liste mit relevanten Fragen findet Ihr hier als PDF-Datei. Auch diese Liste ist als Inspiration gedacht. Selbstverständlich müsst Ihr nicht jede Frage stellen, sondern nur die, die für Euch von Bedeutung sind. Wenn eine Wassergeburt für Euch nicht infrage kommt, müsst Ihr nicht nach einer Geburtsklinik mit Gebärwanne suchen.
Anmerkung
Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge hinweisen.
Erstens, Anmeldefristen zur Geburt in Krankenhäusern sind von Haus zu Haus unterschiedlich und müssen individuell geklärt werden. Dabei gilt die Faustregel, je höher die Geburtenzahl, desto früher in der Schwangerschaft muss man sich anmelden. Es gibt allerdings keine Vorschrift, wie weit das Krankenhaus maximal entfernt sein darf. Es gilt lediglich eine Empfehlung, dass die Fahrzeit 45 Minuten nicht wesentlich überschreiten sollte.
Zweitens, auf der Geburtsurkunde des Kindes steht später der tatsächliche Geburtsort, nicht die Meldeadresse des Kindes. Wer also beispielsweise einen offiziellen Hamburger Jung oder Deern haben möchte, muss wissen, dass Sie zur Entbindung nicht nach Schleswig Holstein fahren, sondern eben auch in Hamburg entbinden sollte.