Manchmal kommt mir, ganz zufällig, eine Information zugeflogen, die so interessant ist, dass sie mich für Jahre fesselt. Um genau so einen Fall geht es heute. Noch weit vor meiner Hebammenausbildung erfuhr ich im Rahmen eines Dokumentarfilms („The 46-year Pregnancy“ vom B.B.C.) von dem wundersamen Phänomen der Stein-Babies…. und war vollkommen fasziniert.

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Doch auch, wenn ich mich kaum beherrschen kann, weil ich meine Recherche am liebsten sofort und ungefiltert teilen würde, möchte ich doch eine Warnung aussprechen: wenn es um den Tod ungeborener Kinder geht, ist das natürlich immer ein sehr sensibles Thema. Wem das zu heikel ist, sollte heute vielleicht das Thema wechseln. Wer allerdings doch mit mir mit staunen möchte, wird heute voll auf seine Kosten kommen. Es gibt einige sehr spannende Geschichten, die das Leben schreibt. Dabei geht es mir nicht darum über die Schicksale anderer Menschen zu lästern, sondern darum eine wenig bekannte, aber wirklich faszinierende Facette der Geburtshilfe näher zu beleuchten.

Südamerika

2015. eine 91-jährige Frau aus San Antonio in Chile stürzt und wird daraufhin ins Krankenhaus gebracht. Nicht das was mit der Hüfte ist! Der Hüfte geht es gut. Allerdings wird beim Röntgen ein etwa 2kg schwerer Fremdkörper in ihrer Bauchhöhle gefunden. 

Weitere Untersuchungen zeigen, dass es sich dabei um ein etwa 7 Monate altes, versteinertes Kind handelt, dass sie seit etwa 50 Jahren mit sich herum trägt. Sie gibt an, ihre Schwangerschaft damals nicht bemerkt zu haben und auch jetzt frei von Beschwerden zu sein. Aus diesem Grund entscheidet Sie sich, mit Hinblick auf ihr hohes Alter, gegen eine operative Entfernung des Objekts. 

Dieses Phänomen ist extrem selten. So selten, dass in 400 Jahren medizinischer Aufzeichnungen nur ca. 300 Fallberichte weltweit festgehalten wurden. Der Fachbegriff für versteinerte Kinder in lebenden Müttern lautet „Lithopädion“.

Gynäkologische Rarität

Der Grund für diese Seltenheit, hat damit zu tun, dass für die Entstehung eines Lithopädions drei Faktoren aufeinander treffen müssen, die jeder für sich schon Raritäten sind. Erstens, handelte es sich bei nahezu allen dieser 300 Fälle um sogenannte Bauchhöhlenschwangerschaften. 

Das heißt, der Fötus befindet sich nicht in der Gebärmutter und auch nicht im Eileiter, sondern irgendwo frei in der Bauchhöhle, abseits von den Fortpflanzungsorganen. Allein dafür besteht eine Wahrscheinlichkeit von gerade mal 1:11000. Weiterhin handelte es sich bei  allen 300 Fällen um Feten zwischen der 14. und 40 SSW. Versterben Kinder bei Bauchhöhlenschwangerschaften vor der 14 Woche, sind sie meist so klein, dass sie vom Körper der Mutter resorbiert werden können. 

Von diesen 1:11.000 Bauchhöhlenschwangerschaften haben also tatsächlich nur unter 2% eine Wahrscheinlichkeit überhaupt zu einem Lithopädion zu werden. 

Der dritte Faktor betrifft die Mutter. Sie muss die ersten beiden Faktoren nämlich lange genug überleben, damit ihr Fötus sich zum Lithopädion entwickeln kann. Ihr seht also, die Chancen für so ein wundersames Phänomen sind verschwindend gering. Zumindest beim Menschen. Denn bei Schafen, Hasen, Meerschweinchen, Rindern und Hausschweinen gibt’s das auch. Im Tierreich nennt man die Feten „Steinfrucht“.

Aber, wie soll das denn gehen…?

Wie das möglich ist, müsst ihr euch folgendermaßen vorstellen: wenn all diese oben genannten Faktoren aufeinandertreffen, erkennt der mütterliche Körper den Fötus als Fremdkörper an, der nicht resorbiert werden kann. Mamas System versucht sich selbst vor einer Infektion durch den Fötus zu schützen, indem es Kalk ins kindliche Gewebe einlagert. Wie eine Art Schutzwand, hinter der das Kind nach und nach mumifiziert. 

Dieser Einlagerungsprozess von Kalksalzen wird als Kalzifikation bezeichnet und findet auch, ganz unabhängig von so dramatischen Ereignissen, stetig im menschlichen Körper statt. Die Einlagerung von Kalksalzen in Knochen und Zahnschmelz zum Beispiel sorgt dafür, dass Knochen und Zähne stabil bleiben und ihren Funktionen nachkommen können. Aber auch bei Krankheiten kann die Kalzifikation eine Rolle spielen. Bei der berühmt-berüchtigten Arterienverkalkung oder im Zusammenhang mit Hirntumoren und Gallensteinen…. und eben auch im Rahmen der Entwicklung eines Lithopädions. Von ihm gibt es drei bekannte Formen: 

Die drei Formen des Lithopädions

Bei dem sogenannten Lithokelyphos werden Kalksalze in die Membranen der Plazenta und Eihäute eingelagert. 

Beim sogenannten echten Lithopädion findet die Kalkeinlagerung direkt im fetalen Gewebe statt. 

Beim Lithokelyphopädion werden Kalciumsalze sowohl in der Plazenta als auch in den Eihäuten als auch im kindlichen Gewebe eingelagert. 

Eine sehr interessante Frage ist die Einordnung des Lithopädions zu „Physiologie“ oder „Pathologie“. Ist so ein Lithopädion als Krankheit einzuordnen, weil es hier um eine insgesamt wenig gesunde Bauchhöhlenschwangerschaft geht?  Oder ist es als seltene aber vollkommen gesunde Schutzreaktion des mütterlichen Körpers vor einer Infektion zu verstehen? 

Das Staunen geht weiter

Noch krasser als alles bisher Gesagte finde ich folgendes: selbst unter den etwa 300 bekannten, dokumentierten Fällen gibt es absolut irrsinnige Unterschiede in den jeweiligen Verläufen.

Es gibt Fälle, wie bei der Frau aus Chile, die irgendwann in ihrem Leben unbemerkt und ohne Beschwerden ein Lithopädion entwickelte, welches erst im Rahmen einer ganz anderen Untersuchung auffiel. Einige Frauen, mit Lithopädion im Bauch, trugen im Laufe ihres weiteren Lebens völlig unbehelligt zwei, fünf oder mehr weitere Schwangerschaften aus und bekamen auf spontanem Wege sogar die Kinder. 

Andere Frauen hatten weniger Glück und mussten, je nach Größe und Lage des Lithopädions, einen langwierigen und höchst beschwerlichen Leidensweg bewältigen.

Das Steinkind von Sens

Die Geschichte des Steinkindes von Sens ist gleich aus mehreren Gründen sehr spannend. Sie ist der erste dokumentierte Fallbericht eines Lithopädions beim Menschen in Europa. 

1554 zeigte eine 40-jährige Frau aus Sens in Frankreich alle Anzeichen einer unauffälligen Schwangerschaft. Im erwarteten Zeitraum kam es bei ihr zu einem Blasensprung und Wehentätigkeit. Das Kind wurde allerdings nie geboren. Obwohl die Frau diese Ereignisse überlebte, war sie 3 Jahre nach dieser Tortur bettlägerig und litt auch später noch unter starken Schmerzen. Sie wurde dennoch 68 Jahre alt. 

Nach ihrem Tod 1582 gab ihr Witwer eine Obduktion in Auftrag. Dabei wurde eine große, harte Kapsel aus dem Bauchraum entfernt, die nur unter großem Kraftaufwand aufgebrochen werden konnte. Im Inneren der Schale befand sich ein voll ausgetragenes aber versteinertes Kind weiblichen Geschlechts. Zeichnungen wurden angefertigt.

Laut Dokumentation des obduzierenden Arztes befand sich die Kapsel innerhalb der Gebärmutter, was eine absolute Ausnahme bedeuten würde. 

Auch damals schon eine Sensation

Dieser Fall wurde damals schon zu einer medizinischen Sensation und bekam für die damaligen Verhältnisse eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit. Es gab unterschiedliche Theorien, die versuchten das Phänomen zu erklären. Das mütterliche Blut wäre zu trocken und hätte das Kind versteinert, das Kind wäre durch eine zu niedrige mütterliche Temperatur vertrocknet oder das Kind wäre zu fest mit dem Mutterleib verbunden gewesen, was eine Geburt von vornherein unmöglich machte. 

Heutige Spezialisten vermuten bei dieser Frau eine sogenannte Uterusruptur. Also einen Riss der Gebärmutter während der Geburt, bei dem das Kind erst am Ende der Schwangerschaft in die Bauchhöhle gelangte, dort verstarb und sich danach, im Laufe der Jahre, zum Lithopädion entwickelte. Allerdings kann man das nach all der Zeit natürlich nicht mit Sicherheit sagen. 

Hier endet die Geschichte des Steinkindes von Sens aber noch nicht. Die Kapsel selbst wurde von einem reichen Kaufmann erworben und nach Paris gebracht. Wo sie von einigen Ärzten und der damaligen königlichen Hof-Hebamme, Louise Marie Bourgeois, untersucht werden konnte.

Jeder wollte ein Stück vom Wunder

Das Lithopädion wurde immer wieder an andere Kaufleute, Sammler und Juwelenhändler weiterverkauft und vielerorts ausgestellt bis es auf diesem Wege 1653 In den Besitz des dänischen Königs, Friedrichs III, für seine Kuriositäten-Sammlung gelangte. 

Bei dieser Wanderung nahm das Objekt immer weiteren Schaden. Teile brachen ab und verfärbten sich, was sich heute noch anhand archivierter Bestandsinventur- Dokumente nachverfolgen lässt. Die königliche Sammlung wurde 1820 aufgelöst und von einem dänischen Museum an das nächste weitergereicht bis das Steinkind von Sens Ende des 19. Jahrhunderts irgendwann aus den Bestandslisten verschwand. Seitdem gilt es als verschollen und alles, was wir haben, sind Zeichnungen der Kapsel und historische ärztliche Notizen.

So erging es aber nicht jedem Lithopädion. In den Museen der Universitäten in Thübingen und Heidelberg kann man auch heute noch jeweils ein Exemplar bestaunen.

Unsere Zeit

Heute, in unserer modernen Welt, ist ein Lithopädion nur in Ländern mit schlechter oder fehlender medizinischer Versorgung bzw. in wahnsinnig abgelegenen Regionen möglich. Entsprechend findet man solche Berichte seit 2000 vorwiegend aus China, Indien, Afrika oder Südamerika. Wenn man also aus all diesen Geschichten etwas lernen kann, dann doch wohl, dass die weltweite Sicherstellung der Frauengesundheit nach wie vor ein sehr wichtiges Thema ist. 

Und dass die Natur hardcore ist.

Quellen: