Der Kaiserschnitt ist definitiv nicht neu. Ganz im Gegenteil. Wenn auch nicht exakt belegt werden kann, wann der erste Kaiserschnitt in der menschlichen Frühgeschichte durchgeführt wurde, kann man doch sagen, dass die Idee, ein Kind durch die Bauchdecke der Mutter zu holen, mindestens so alt ist, wie es Schwangere Frauen und scharfe Gegenstände sind.

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Bereits seit der Antike bekannt

So wurden zum Beispiel die altgriechischen Götter des Weines, Dyonisos, und der Heilkunst, Asklepios, der Mythologie nach per Schnittentbindung geboren. Etwas weltlicher berichten Quellen aus der antiken jüdischen und indischen Kultur von Kaiserschnitten an Frauen, die unter der Geburt verstorben waren, als Versuch zumindest das Kind zu retten.

Die Sache mit Caesar und seiner Geburt

Warum heißt der Kaiserschnitt- Kaiserschnitt? Der Legende nach soll Gaius Julius Caesar angeblich auf diese Art und Weise geboren worden sein, was aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht stimmt.

Zwei Dinge sprechen dagegen. Erstens ist bekannt, dass Caesars Mutter, Aurelia, seine Geburt um mindestens 50 Jahre überlebte. Es wäre aber sehr unwahrscheinlich, dass sie seine Geburt überlebt hätte, wenn es denn tatsächlich in der damaligen Zeit ein Kaiserschnitt gewesen wäre.

Zweitens ist der römische Autor, Pilinus, der als erster mit dieser Geschichte aufkam, selber erst etwa Einhundert Jahre nach Caesars Tod geboren worden. Woher Pilinus seine Quellen hatte und ob diese zuverlässig waren, ist eine große Frage.

Wortspiele rund um den Kaiserschnitt

Bleibt man bei der Wort- Herkunft, ist das lateinische Wort für Schneiden – caedere. Kinder, die damals per Schnittentbindung durch den Bauch geboren wurden, bezeichnete man als caesones, also Schnittlinge , ganz unabhängig davon, ob sie überlebten oder nicht.

Wir haben also Caesar, caedere, caesones, was sich im Kern alles
irgendwie ein bisschen ähnlich anhört.

Mit der Zeit erinnerte man sich aber nur noch an die schöne Legende vom römischen Imperator. Von dem Namen Caesar leitete sich später das deutsche Wort für Kaiser ab. Eins führte zum Anderen, sodass wir heute vom Kaiserschnitt bzw. von der Sectio-caesarea sprechen.

Das dunkle Mittelalter

Es ist keine Überraschung zu erfahren, dass Geburten damals grundsätzlich mit einer deutlich höheren Lebensgefahr für Mutter und Kind einher gingen, als heute. Schnittentbindungen erst recht. Aus dem sechsten Jahrhundert, auf den röm. Kaiser Justinian zurückgehend, stammt ein Erlass, nach dem Schnittentbindungen grundsätzlich nur an Frauen durchgeführt werden durften, die bei der Geburt gestorben waren, um Mutter und Kind unabhängig voneinander bestatten zu können.

Dieses Gebot zog, zumindest in den christlichen Ländern, bis ins 16. Jahrhundert hinein. Um dem Kind eine Chance auf Taufe geben zu können, galt 1280 für die Hebammen Kölns zum Beispiel die Anweisung, der toten Mutter ein Holz in den Mund zu stecken, damit ihr Kind noch Luft bekäme, bevor man ihren Leib aufschnitt. Wenn ich sage „dem Kind die Chance auf Taufe geben“, dann meine ich realistischerweise eine Taufe, um anschließend in geweihter Erde bestattet werden zu können, nicht etwa um getauft zu überleben. Die Geburtshelfer des Mittelalters und der Neuzeit hatten nicht wirklich eine Möglichkeit, den Kaiserschnitt zu nutzen, um Leben zu retten. Weder das der Mutter, noch das des Kindes.

Dramatische Zustände

Das einzige Todeszeichen, dass damals als sicher galt, war das Einsetzen der sogenannten Totenstarre. Diese setzt etwa sechs Stunden nach dem Todeszeitpunkt ein. Erst dann durfte der Mutterleib eröffnet werden. Ein Baby im Bauch überlebt traurigerweise maximal 25 Minuten, wenn die Mutter stirbt. Das heißt, so oder so, sie hatten beide keine Chance.

Der seltsame Fall des Jacob Nufer

Der erste dokumentierte Kaiserschnitt an einer lebenden Frau, die im Anschluss
überlebt hat, ereignete sich im europäischen Raum 1500 in der Schweiz. Durchgeführt von einem Mann, der Jacob Nufer hieß und seine Ehefrau, Elisabeth, selber operierte.

Elisabeth lag tagelang in den Wehen, ohne dass irgendetwas passierte. Man weiß heute nicht, welches geburtshilfliche Problem bei ihr damals vorlag. Fakt war aber, dass die 13 anwesenden Hebammen und einige Wundärzte nichts mehr für sie tun konnten, außer zu beten. Sie ging einem qualvollen Tod entgegen.

Kein Kaiserschnitt ohne Segen!

Jacob Nufer, von Beruf Schweinekastrator, wollte seine Frau aber nicht so einfach sterben lassen. Nachdem er den Segen eines Geistlichen einholte, nahm er seine scharfen Arbeitsgerätschaften,
mit denen er sonst Schweine kastrierte, und führte einen Kaiserschnitt an seiner eigenen Frau durch.

Elisabeth überlebte diesen Eingriff nicht nur, sie bekam im Laufe ihres Lebens noch sechs weitere Kinder auf natürlichem Weg. Darunter ein Zwillingspärchen ein Jahr nach dem Kaiserschnitt von 1500.

The Power of Love

Was hat Jacob gemacht? Er hat, nachdem er das Kind aus ihrem Bauch holte, die
Gebärmutter wieder zugenäht. Dieses Verschließen der Gebärmutter hat seine Elisabeth im Endeffekt gerettet. Das und die Kraft seiner Liebe 🙂

Denn damals war das Know-how rund um die chirurgische Geburtshilfe hundsmiserabel. Selbst wenn sich jemand getraut hat, eine lebende Frau aufzuschneiden, um ihr Kind aus dem Bauch herauszuholen, wurde die Gebärmutter anschließend nicht zugenäht. Wenn die Frau Glück hatte, wurde ihr Bauch mit einer Bandage fixiert. Selbst die Frauen, die nicht unmittelbar bei dem Eingriff starben, sind dann im Anschluss elendig verreckt. Entweder an inneren Blutungen oder Infektionen.

Ich kann nicht genug betonen, welche Bewunderung ich der Geschichte von der Familie Nufer entgegenbringe. Doch auch wenn Elisabeth Nufer überlebt hat, muss man klarstellen, dass das ein Einzelfall war. Ein verdammt glücklicher Einzelfall.

Der Eingriff verlief ohne Betäubung am lebendigen Leib, ohne den Bauch zu reinigen, ohne sich vorher die Hände zu waschen, ohne das Messer vorab zu desinfizieren, mit dem operiert wurde. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat.

Modernere Zeiten

Bis ins 19. Jahrhundert galt zumindest im deutschsprachigen Raum: „Wenn man für eine Gebärende die Indikation zum Kaiserschnitt stellt, muss man ihr die Möglichkeit geben, sich auf den Tod
vorzubereiten und ein Testament zu machen.“ So war das damals.

Der Mut der Anna Margaretha Adametz

Umso spektakulärer ist der Fall der Anna Margaretha Adametz, einer Frau aus Wilster in Holstein, die im Zeitraum von 1826 bis 1836 vier Kaiserschnitte überlebte. VIER!

Doch nicht nur aufgrund dieser Kaiserschnitte war das eine besondere Frau. Sie hatte ein rachitisch verformtes Skelett. Aufgrund von Vitamin-D-Mangel in der Kindheit konnten sich ihre Knochen nie vollständig entwickeln. Sie war als Erwachsene weniger als einen
Meter groß und hatte eine stark verformte Wirbelsäule und ein noch
stärker verformtes Becken. Rein anatomisch wäre es ihr nie möglich gewesen, ein reif ausgetragenes Kind auf vaginalem Wege zu entbinden. Gemeinerweise war das erst nach dem ersten Kaiserschnitt klar, bei dem der Geburtshelfer ihr Becken von innen abtastete und eine entsprechende Verengung der sog. Cojugata vera, einer geburtshilflich entscheidenden Linie im Beckenraum, feststellte.

Annas erster Kaiserschnitt

Am Ende ihrer ersten Schwangerschaft setzten bei Anna Margaretha die Wehen ein. Wie alle, die damals etwas auf sich hielten, wollte sie zu Hause entbinden. Zwei Tage gingen ins Land
und es passierte erst einmal gar nichts. Die anwesenden Hebammen und ein Arzt versuchten, eine äußere Wendung durchzuführen. Dann versuchten sie das Kind durch
eine sogenannte hohe Zange zu entbinden. Beide Anläufe blieben erfolglos.

Ein weiterer Arzt wurde aus dem benachbarten Dorf mit zwei PS, so schnell es eben ging, zur
Unterstützung herbeigeholt. Als dieser endlich ankam, wurde am insgesamt dritten Tag des Geburtsverlaufs entschieden, dass nur noch der Kaiserschnitt die Möglichkeit bot zu versuchen, Annas und das Leben des Kindes zu retten.

Nicht lange gefackelt, denn es war ja schon genug Zeit verstrichen, wurde die Frau auf dem Esstisch des Hauses mit Servietten festgebunden und operiert. Das Kind war leider wider Erwarten tot. In dem entsprechenden Bericht stand: „Die Frau fühlte sich nach vier Wochen wohl.“

…und weil`s so schön war…

Nun war der Kinderwunsch aber nicht erfüllt worden. Es wird nirgends erwähnt, ob diesem starken Kinderwunsch persönliche Gründe oder Erbfolgeangelegenheiten zugrunde lagen.

Klar ist nur, dass sich das Spiel 1829 und 1832 wiederholte. Mit der Ausnahme, dass Anna Margaretha nicht mehr zu Hause entbinden wollte, sondern gleich in eine Gebäranstalt in Kiel fuhr.

Erneut Kaiserschnitte ohne Betäubung und ohne sich vorher die Hände zu waschen. Beide Kinder verstarben kurz nach der Geburt. Das von 1829 an einer Infektion an der linken Brustwand bereits einen Monat nach seiner Geburt. Das von 1832 verstarb ein halbes Jahr nach der Geburt an Scharlach.

Lebenswidrige Lebensbedingungen

Gebären war damals lediglich 20 Prozent der Rechnung.
Die Kinder mussten ja auch noch überleben. Ohne Impfung, ohne vernünftige Ernährung, ohne das Wissen um Bakterien und Hygiene, ohne die Möglichkeit einer Antibiose bei Infektionen, ohne Vitamin D, wie bei Anna Margareta selbst…

Jedenfalls raffte sie sich dann nochmal zum letzten Versuch auf und fuhr 1836 wieder nach Kiel, um ihr nunmehr viertes Kind zu entbinden. Dieses mal überlebte das Kind. Anna Margareta wurde Mutter einer Tochter.

Sie wurde auf den Namen Frederike Luise Caroline Cäserine getauft. Der damals dänische König übernahm höchstpersönlich eine Patenschaft für das Mädchen, was davon zeugt, wie sensationell
diese Geschichte damals war. Einen Kaiserschnitt in viermaliger Ausführung zu überleben, machte Anna Margaretha zum Rockstar unter den Müttern. Besonders ihr letzter Kaiserschnitt war ein medizinisches Event, zu dem sich mehrere Ärzte und noch mehr Studenten einfanden, um sozusagen „live dabei“ gewesen zu sein.

Ich habe nicht herauskriegen können, was aus Frederike geworden ist. Ob ihre Nachfahren wohl wissen, wie außergewöhnlich der Start ins Leben ihrer Ur-ur-ur- Großmutter war?

Mein allergrößter Respekt gilt dieser Frau Anna Margaretha Adametz. Denn das Durchhaltevermögen, das diese Dame bewiesen hat, nach all den Schicksalsschlägen, die sie im Laufe ihres Lebens erlebt hat, ist wirklich bewundernswert.

Medizinischer Fortschritt für den Kaiserschnitt

Kaiserschnitt-technisch ging es ab dem späten 19. Jahrhundert bergauf.

Erst 1876 kam ein italienischer Chirurg, ein Herr Eduardo Porro, auf die Idee, nach einem Kaiserschnitt die Gebärmutter gleich mit aus der Frau herauszuholen. Ja, das setzte einen fetten
Punkt hinter weitere Nachkommenschaft. Jedoch wurde durch das Entfernen der Gebärmutter
der Blutverlust der Frau so stark reduziert, dass ihre Überlebenschance immerhin auf 50 Prozent anstieg.

1881 führte ein Herr Dr. Adolf Kehrer den ersten sogenannten konservativen Kaiserschnitt durch. Damit ist gemeint, dass die Gebärmutter in der Bauchhöhle verblieb. Ebenso führte Kehrer als erster den queren Schnitt zur Eröffnung der Bauchhöhle ein. Vorher wurden Kaiserschnitte auf irgendeine Weise längs gemacht. Entweder mittig oder an der Flanke wurde der Schnitt entlang des Bauches gesetzt.

Kehrers Technik des queren Schnitts wurde dann nochmal 1900 von einem Herrn Dr. Johannes Pfannenstiel optimiert. Das war eine lange Zeit, im Prinzip fast hundert Jahre lang, die beste Kaiserschnitt-Technik, die wir hatten. Sie wird auch heute noch als der klassische Kaiserschnitt bezeichnet. Zusätzlich trugen medizinische Entwicklungen, wie die Bluttransfusion, Antibiotika und die Einführung der Asepsis dazu bei, dass der Kaiserschnitt, bzw. die Geburtshilfe im Laufe der Zeit sicherer wurden.

Unsere Zeit

1994, also knapp hundert Jahre nach Pfannenstiel, kamen Ärzte in Israel nochmal auf die Idee, die Operationsmethode der Sectio caesarea zu verändern. Im Misgav- Ladach Krankenhaus wurde eine Technik entwickelt, bei der die Haut, der sichtbare Teil der Bauchdecke, natürlich nach wie vor sehr
vorsichtig und ordentlich eröffnet wird. Das Ganze soll dann ja wieder hübsch zusammengenäht werden.

Alle weiteren Schichten, also der Bauchmuskel, das Bauchfell und die Gebärmutter, werden möglichst stumpf eröffnet und dann durch Dehnen und Reißen geweitet. Nach der Geburt des Kindes und der Plazenta werden die Gebärmutter, die Bauchfaszie und die Haut wieder vernäht. Bauchfell und Bauchmuskel werden nicht invasiv verschlossen.

Ja, das mag sich barbarisch anhören, ist aber mit einer Reihe von Vorteilen verbunden.

Erstens sorgt diese Methode dafür, dass die OP selber sehr viel kürzer ist, als eine klassische Sectio. Dadurch wird der Blutverlust der Patientin stark reduziert. Zudem findet die Heilung dieser gedehnten und gerissenen Gewebsschichten aus irgendeinem Grund deutlich besser statt, als bei klassisch aufgeschnittenem Gewebe. Der Kaiserschnitt nach Misgav-Ladach ist daher weltweit am beliebtesten und der am häufigsten anzutreffende.

Wie läuft der Kaiserschnitt heute ab?

Heute ist der Kaiserschnitt eine Angelegenheit von etwa 50 bis 60 Minuten. Es gibt eine gewisse Vorlaufzeit für Vorbereitungen, aber die OP selbst ist relativ zackig.

Von diesen 60 Minuten geht eine Viertelstunde an die Anlage einer Spinalanästhesie. Dann wird geprüft, ob die Frau betäubt ist. Erst danach wird mit der OP losgelegt. Von Beginn der OP bis zur Geburt des Kindes sind es vier Minuten. Der Rest der Zeit ist dazu da, den Mutterkuchen aus der Gebärmutter zu lösen und alle Schichten der Bauchdecke wieder sachgemäß zu verschließen.

geplant vs. ungeplant

Der wesentliche Unterschied zwischen einem geplanten und ungeplanten Kaiserschnitt
liegt in der Dauer der Vorlaufzeit. Soll heißen, sämtliche Vorbereitungen, die vor dem Eingriff laufen müssen (Aufklärung, das OP-Hemd, ein Flüssigkeitstropf zum Ausgleich des kommenden Blutverlusts, Trinatriumcitrat zur Neutralisierung des Mageninhalts) haben eben mehr oder weniger Zeit.

Bei einem geplanten Kaiserschnitt, wird mit diesen Vorbereitungsmaßnahmen bereits am Tag vor der OP begonnen. Im Falle eines ungeplanten Kaiserschnitts bleiben für die Vorbereitung, je nach Dringlichkeit, 30 bis 3 Minuten. Bei einem tatsächlichen Not-Kaiserschnitt schrumpft das Zeitfenster für die Vorbereitung auf 3 bis 1 Minute. Ebenso würde bei einem Not-Kaiserschnitt keine Zeit mehr für die Spinalanästhesie „vergeudet“, sondern innerhalb von zwei Minuten
eine Vollnarkose durchgeführt. Die Technik der Operation unterscheidet sich aber nicht bei einem geplanten und ungeplanten Kaiserschnitt.

Kaiserschnitt- Segen oder Fluch?

Abschließend bleibt nur zu sagen, dass der Kaiserschnitt, global gesehen, natürlich ein Segen für die Menschheit ist. Man kann es nicht anders formulieren. Aus meiner Sicht gibt es da auch nichts dran zu rütteln. Denn wenn alles versagt, haben wir immer noch die Schnittentbindung. Sie ist in ihrer heutigen Form sehr kurz, sehr sicher und hat Tausenden Familien zu einem gesunden Kind verholfen.

Jedoch macht bekanntlich die Dosis das Gift. Das heißt, ob eine Kaiserschnittrate
von 30 Prozent wirklich notwendig und gesund ist, steht auf einem gänzlich anderen Blatt.